Selten schafft es ein Aktionsbündnis, sein politisches Anliegen in einem Wort zusammenzufassen: Unter dem Motto „umfairteilen!“ hat eine breite gesellschaftliche Initiative zu Aktionen aufgerufen (http://umfairteilen.de/). Die Absicht der Organisatoren war es, mit dem Wort ‚fair‘ den Aspekt der Gerechtigkeit einzubeziehen. Ist also ‚faires‘ Verteilen als ‚gerechtes‘ Verteilen zu verstehen?
Tatsächlich bedeuten die beiden Wörter ‚fair‘ und ‚gerecht‘ nicht das Gleiche. ‚Fair‘ wurde aus dem Englischen entlehnt und heißt im Deutschen ‚anständig, sportlich sauber, ehrlich‘ (während ‚fair‘ im Englischen viel breiter verwendet wird). Das deutsche Wort ‚gerecht‘ hingegen wird im Sinne von ‚recht, richtig‘ sowie ‚den Gesetzen und Geboten entsprechend, sittlich gut‘ verwendet. Das heißt, bei ‚fair‘ geht es um das Verhalten entsprechend gemeinsam anerkannten Mustern und Regeln in einer Gemeinschaft (im Sport oder Umgang miteinander); bei ‚gerecht‘ hingegen um das Denken und Handeln nach den rechtlichen Vorstellungen einer Gesellschaft.
Und worum geht es bei der ‚Umverteilung‘? Das Problem liegt in der Verteilungsordnung der kapitalistischen Gesellschaften: Den Besitzern der Produktionsmittel wird das Recht auf die private Aneignung der Wertschöpfung zugestanden, die von der menschlichen Arbeitskraft hervorgebracht wird. Das Ergebnis ist eine systematische Ungleichverteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen, die zu sozialen Kämpfen und politischen Konflikten führt. Die geforderte Umverteilung zielt also auf soziale Gerechtigkeit.
Dies ist auch der Hintergrund für die jetzige Initiative „Umfairteilen!“: Ihr aktuelles Anliegen ist es, die verschärfte Umverteilung von „unten nach oben“ seit Ausbruch der Finanzkrise umzukehren und dazu „übergroßen Reichtum stärker zu besteuern“. Diese Forderung bewegt viele Menschen, allerdings wird deren Problembewusstsein stark durch die Massenmedien beeinflusst.
Die Medien stellen die gegenwärtige Krisensituation vorzugsweise als individuelles Fehlverhalten dar. Immer wieder wird z.B. die ‚Gier der Banker‘ angeprangert, als hätte die Finanzkrise nur sittliche Gründe. Und genauso lässt sich im Aufruf der Initiative der „übergroße Reichtum“ einer kleinen Minderheit vordergründig als unmoralisch auffassen, verstärkt durch den Hinweis auf „Steuerbetrug und Steueroasen“, ohne dass die tieferen Probleme des Verteilungssystems wahrgenommen werden.
Diese letztlich oberflächliche Problemsicht trifft sich mit moralischen Vorstellungen von ‚fair‘ in ‚umfairteilen!‘. Um so wichtiger ist es, in den Aktionen dieser Initiative die grundlegende Auseinandersetzung um gesellschaftliche Gerechtigkeit stärker ins Blickfeld zu rücken.
(Siehe auch die ausführliche Fassung dieses Beitrags mit Literaturverweisen („Umfairteilen„).
Fairness oder Gerechtigkeit – Worauf zielt die Aktion „Um-fairteilung“?
Die Verfasserin problematisiert in ihrem Beitrag zur gegenwärtig laufenden Protestaktion „Umfairteilung!“ die Entscheidung für das gewählte Protestmotto und bemängelt daran eine unzu-reichende Erfassung und Bloßlegung des zu analysierenden Skandals. Sie stützt ihre Kritik an der Forderung nach mehr ‚Fairness’ vor allem auf die deskriptive und analytische Schwäche des Ausdrucks „fair“, den sie als „oberflächlich“ bezeichnet. Sie hebt hervor, dass damit nur auf ein anständiges und ehrliches Verhalten einer Gemeinschaft von Personen Bezug genommen werde, nicht aber auf strukturelle Moraldefizite einer ganzen Gesellschaft.
Obwohl ich der Diagnose im Kernzustimme, glaube ich, dass die Kritik nicht vorwiegend an der Wortwahl ansetzen sollte, sondern an der immer noch mangelnden Auslotung des komplexen Gesamtzusammenhangs der ungerechten Verteilung von Chancen, Mitwirkungsrechten und Vermögenswerten.
Im Einzelnen möchte ich drei Relativierungen vornehmen:
1. Es ist zwar richtig, dass im Deutschen das Wort ‚fair‘ eher auf ein regelgeleitetes und rücksichts-volles Verhalten unter den Gemeinschaftsmitgliedern verweist und der Ausdruck ‚gerecht‘ stärker auf ein grundlegendes Moralfundament. Im Falle einer Wortverwendung im konkreten Aktions-zusammenhang scheint es mir aber in Anbetracht der Wahrnehmungs- und Verarbeitungs-kapazitäten im öffentlichen Raum durchaus berechtigt zu sein, einen leicht eingängigen Begriff zu wählen, der eine aktuell als provozierend empfundene und unausgewogene Politik der Reichtums-verteilung erfahrungsnah charakterisiert. Fraglos wird auf diese Weise eine real existierende Komplexität reduziert, doch wäre auch eine fundierte Gerechtigkeitsdebatte in einem Protestaufruf schwerlich auf ein spielerisch verwandtes Schlagwort einzuschmelzen. Selbst eine sterile Losung wie „Für eine gerechte Einkommensverteilung!“ würde keinen Zuwachs an Aufklärung und analytischer Tiefsicht bewirken können.
2. Dass das Wort ‚fair‘ im Deutschen anders gebraucht wird als im Englischen, aus dessen Kulturkreis es stammt, ist trivial. Es sollte aber bei einer reflektierenden Wortuntersuchung bedacht werden, dass im Englischen der Ausdruck ‚fairness‘ neben ‚justice‘ durchaus auch diejenigen Bedeutungs-elemente enthält und aktualisiert (nämlich ‚just and equal‘), die wir im Deutschen mit dem Wort ‚Gerechtigkeit‘ hervorrufen. Dazu sei auf die bekannten Publikationen des Sozialphilosophen John Rawls („A Theory of Justice“ und „Justice as Fairness“) verwiesen, in denen faires Handeln letztlich immer aus einem moralischen Gerechtigkeitsbedürfnis und –empfinden abgeleitet wird. Dass jenseits dessen in der englischen Begriffsbildung traditionelle Elemente des Utilitarismus, des Liberalismus und des Pragmatismus eine Rolle spielen, kann man zu Recht bemerken, aber diese gedankliche Verknüpfung gestattet m.E. noch keineswegs den Rückschluss, der Begriff ‚Fairness‘ sei grundsätzlich weniger ‚tiefgründig‘ als jener der Gerechtigkeit.
3. Der Vorwurf, die Rede von „Um-fairteilung“ greife zu kurz, ist trotz meiner vorherigen Einwände insofern nicht von der Hand zu weisen, als sowohl der Standardbegriff der ‚Umverteilung‘ wie auch seine Variante in der Protestlosung die zugrunde liegende Fehlsteuerung unserer Gesellschaftspolitik in nahezu allen Bereichen nur unzureichend erfasst. Die Umverteilungsproblematik – und da hat Sabine Recht – besteht nicht in einer alleinigen Verwerflichkeit der unterschiedlichen Vermögens-verhältnisse und schon gar nicht in einem ausschließlichen „sittlichen“ Fehlverhalten einiger Gauner und „Bangster“; sie liegt in der ungleichen Verteilung von Teilhabe- und Mitwirkungsrechten und in der Konstruktion der privaten Aneignung gesellschaftlich erarbeiteter Ressourcen und Vermögens-werte schlechthin, also in der Logik der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Insofern ist immer wieder mit verständlichen Begriffen und an überzeugenden Beispielen zu zeigen, welche Herrschaftsmechanismen und politischen Praktiken unseren Gesellschaftszustand bedingen und welche Ansätze sich daraus für ein widerständiges Denken und Handeln entwickeln lassen.
Nicht zuletzt die Ausarbeitung einer verständlichen und auf reale Veränderungen abzielenden sprachlichen Alternativsymbolik wird darüber entscheiden, wie weit wir auf dem Weg eines Widerstandes gegen die kapitalistischen Institutionen und die Ströme der medial gesteuerten Mehrheitsmeinung vorankommen und inwieweit wir Zustimmung für Gegenmodelle zur gegen-wärtigen Hegemonialordnung des Privateigentums gewinnen können. Ansätze dazu aus unter-schiedlichen Bereichen und Organisationen sind bereits erkennbar. Sie finden beispielsweise unter programmatischen Stichwörtern wie ‚Gemeinwohlökonomie‘, ‚Kooperation ‘, ‚Subsidiarität‘, ‚Solidarität‘, ‚Gleichheit‘, ‚Selbstbestimmung‘, ‚buen vivir‘, ‚würdige Lebensumstände‘ oder ‚ungeteilte Gerechtigkeit‘ Eingang in eine auf Veränderung zielende Debatte von oppositionellen Bewegungen. Warum sollte nicht auch ‚Fairness‘ hier einen Platz einnehmen dürfen?
Worauf es ankommt, ist, den nicht immer vergegenwärtigten Zusammenhang von Wort, Denken und Handlung angemessen zu reflektieren. Was ist noch Idee, was hat schon wirksame Bedeutung und welche reale Praxis wird bereits durch eine progressive Symbolik abgedeckt?
(Siehe auch die ausführliche Fassung dieses Beitrags unter: http://attacberlin.de/fileadmin/ags/sprache/materialien/Gerechtigkeit_und_Fairness_2.docx)
Mit dem hier diskutierten Wort umfairteilen sind nun schon eine ganze Menge spürbarer Taten und Aktionen verbunden. Das ist sehr gut! Deshalb will ich an dieser Wortschöpfung nicht rum mäkeln, obwohl sich mein Sprachempfinden dagegen sträubt. Das Wort kommt so umständlich gestelzt daher…
Aber es macht eben besonders in der geschriebenen Form auf sich aufmerksam. Es macht stutzig. So kann es anregen: Gedanken, Gespräche, Handlungen. Es kann zum Markenzeichen für eine Bewegung werden bzw. ist es das schon.
Ich stimme André völlig zu, dass es heute mehr denn je um mehr als faires oder gerechtes Verteilen geht. Der ungeordneten Verselbstständigung der Geldmärkte und der Geldmächtigen muss mit entschiedener demokratischer Politik der Garaus gemacht werden. angesichts dieses Zieles greift die Aufforderung umfairteilen! zu kurz. Sie hat jedoch einen Anstoß gegeben für eine Bewegung, die nun weitere Schlagworte, Gespräche und Taten braucht, Schritt für Schritt.
Gerade ist ein Artikel*) erschienen, der die Schlüsselrolle des Gerechtigkeitsbegriffs in der gegenwärtigen politischen Debatte belegt. Insbesondere analysieren die Autoren die Bestrebungen der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), den Begriff der Gerechtigkeit aus Arbeitgebersicht zu besetzen und von Vorstellungen wie ‚Gleichheit‘ und ‚Umverteilung‘ zu lösen. Wie die INSM dabei vorgeht, vor allem den Begriff in viele Aspekte auffächert (‚Chancengerechtigkeit‘, Leistungsgerechtigkeit‘ usw.) und somit beliebig interpretierbar macht, wird in diesem Artikel detailliert und aufschlussreich erörtert – eine empfehlenswerte Lektüre besonders für Sprachkritiker!
*) Stephan Kaufmann und Eva Roth: „Gerechte Armut“ in Berliner Zeitung v. 20./21.4.2013, S. 9 (Link)
Chancengleichheit statt Verteilungsgerechtigkeit oder doch lieber beides?
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) – ein Ableger des Instituts der Deutschen Wirtschaft – hat sich wiederholt als dezidiert neoliberaler Ideologielieferant und „Think Tank“ hervorgetan, weshalb sie kaum verdächtig ist, einen vernunftbegründeten und unvoreingenommenen Standpunkt zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland zu vertreten ( vgl. https://lobbypedia.de/wiki/ Initiative Neue Soziale Markt-wirtschaft). Die Initiative bleibt auch in ihrer neuen „Studie“ über Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland ihrer Tradition als Steigbügelhalter der Arbeitgeberverbände und Interessenvertreter der deutschen Industrie treu. Auftragsgemäß verbreitet sie die These, es gäbe keine Umverteilungsprobleme in Deutschland und damit auch keine ungerechte Einkommensverteilung; vielmehr hätten die Bemühungen der Politik auf eine Steigerung der „Chancengerechtigkeit“ zu zielen.
Es ist verdienstvoll, dass und wie die Autoren des Artikels in der Berliner Zeitung darangehen, den Zynismus und die Verlogenheit herauszustellen, mit denen die Unternehmenslobby das Ausmaß und die Ursachen für die bestehenden Gerechtigkeitsdefizite leugnet und umwertet.
Nun ist gegen eine Förderung von ‚Chancengleichheit‘ prinzipiell nichts einzuwenden – allerdings nur solange nicht, wie deutlich gemacht wird, was genau darunter verstanden wird, auf welche und wessen ‚Chancen‘ sie sich genau beziehen, wie sie erreicht werden soll und unter Inkaufnahme welcher möglichen Nachteile sie gewonnen wird.
Die neoliberale Heilslehre und ihre Befürworter wollen uns glauben machen, dass allein oder doch vorrangig die ‚Chancengleichheit‘ zu einer gerechten Teilhabe aller am gesellschaftlichen Wohlstand führe. Das ist schon dann fraglich, wenn hier mit dem Begriff ‚gleiche Chancen‘ grundsätzlich gleiche Voraussetzungen und Möglichkeiten bei der Bewerbung um Stellen, Status, Geldverdienst und Anerkennung gemeint sein sollten, denn diese (kontrafaktischen) Startbedingungen allein führen bestenfalls dazu, dass alle Willigen eine gute oder erträgliche Ausgangsposition vor der Pforte des Arbeitsmarktes einnehmen können. Die Frage, was danach geschieht, ob nämlich für alle Bewerber um eine Position eine Stelle verfügbar ist und unter welchen weiteren Bedingungen bzw. in welchem Maße dann die abverlangte Leistung entlohnt oder gewürdigt wird, bleibt derweil noch offen. Schon hier also machen es sich Verteidiger eines deregulierten Verteilungsmarktes ganz offensichtlich zu leicht.
Wenn darüber hinaus der ISNM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr auch noch eingrenzt: „Mehr Gerechtigkeit entsteht durch gleiche Bildungschancen“, dann erscheint sein und seiner Organisation ‚soziales Engagement‘ nicht weniger anrüchig und von Eigennutzdenken gelenkt. Sicher sind gleiche Bildungschancen zunächst einmal eine gute Sache, vor allem dann, wenn der Staat die Bildungsausgaben übernimmt und die Wirtschaftsunternehmen mit den fertig ausgebildeten jungen Bewerbern über einen hervorragenden Pool an potenziellen „Leistungsträgern“ verfügen, mit denen sie dann den Wettbewerb – national wie international – verschärfen können. Davon abgesehen ist aber mit den Autoren des Zeitungsartikels zu fragen, ob denn durch verbesserte Bildungschancen tatsächliche gleiche Aufstiegsmöglichkeiten und zugleich qualitativ gute Jobs entstehen. Zweifel sind, wie uns die Realität des ausbeuterischen Arbeitsmarktes zeigt, berechtigt.
Wie brüchig und unabgesichert das Konzept „Chancengleichheit“ de facto ist, betont auch der im Artikel zitierte Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann, wenn er ganz richtig darauf hinweist, dass das alleinige Verfügen über eine Chance noch keine Aussage darüber macht, für welches individuelle Ziel und zu wessen Vorteil sie genutzt wird. Schließlich kann die Berufung auf aktive „Gewährleistung und Nutzung“ gleicher Chancen auch als Argument dafür dienen, die Chancen zur Wertschöpfung gegen die abhängigen Arbeitnehmer auszulegen – nach dem Motto „Auch wir müssen unsere Chancen im internationalem Wettbewerb nutzen und deshalb die Erwerbs- oder Aufstiegschancen der Beschäftigten eingrenzen“.
Man sieht: Die ganze Argumentationskette – wenn sie denn den Namen verdient – hat ein „Geschmäckle“.
Es wird Zeit und gibt genügend Anlässe, den Lügenbaronen im ISNM die zurechtgebogenen „Argumente“, „Fakten“ und „Daten“ unter die Nase zu reiben. Mit Stephan Kaufmanns und Eva Roths Artikel ist ein guter Anfang gemacht – vor allem auch deshalb, weil sie über ihre Grundsatzanalyse hinaus auch die fatale Interessenlastigkeit des vom ISNM publizierten „Gerechtigkeitsmonitors“ geißeln. Wenn diese aus den Quellen der Gier und sozialen Kälte gespeiste neoliberale Denke nicht so desaströs wäre, könnte man sie leicht als unqualifizierte Schluderei abtun. Allein der machtvolle Einsatz von Medien und Geld hinterlässt leicht dann Wirkung, wenn kritisch-widerständiges Reflektieren durch den öffentlichen Meinungsmarkt systematisch unterlaufen und verdrängt wird.