Vorstellungen für ein ‚anderes‘ Europa

Dass uns bundesdeutsche Europapolitik als ‚alternativlos‘ serviert wird, ist von Kritikern schon hinreichend entlarvt worden. Wie aber steht es um eine alternative Europapolitik? Gerade in Deutschland hat sich angesichts der anhaltenden Finanzkrise Euro-Skepsis breit gemacht. Anti-Euro-Populisten präsentieren sich als „Alternative für Deutschland“ – gewissermaßen als Ausweg aus der ‚alternativlosen‘ Europapolitik. Und linke Gruppierungen sowie soziale Bewegungen treten bisher eher mit Protesten und Gegenforderungen zur Krisenpolitik als mit alternativen Vorstellungen FÜR Europa auf. Um so mehr Aufmerksamkeit haben einige aktuelle Plädoyers für ein ‚alternatives‘ Europa verdient.

Gleich mehrere Initiativen der letzten Wochen, vorgestellt in der neuesten Ausgabe von „Sand im Getriebe“(SiG103), gehen in diese Richtung. Drei davon sollen hier kurz kommentiert werden – die europäische Konferenz „Alter Summit“ 7.-8. 6.13 in Athen, der österreichische Aufruf „Europa geht anders“ und die Abschlusserklärung zum Kongress „Umverteilen. Macht. Gerechtigkeit“ 24.-26.5.13 in Berlin. Uns interessiert hier vor allem, welche Vorstellungen FÜR ein ‚anderes‘ Europa entworfen und wie sie sprachlich ‚herübergebracht‘ werden.

Das beginnt gleich mit einer Hürde: „Alter Summit“ ist zwar für Kenner des Englischen oder Französischen ein origineller Konferenztitel (‚alter‘ steht für ‚alternative‘, ist aber auch mit ‚to alter’= ‚ändern‘ assoziierbar), hingegen denken Deutsche spontan an ‚alt‘ oder das ‚Alter‘ , wenn sie nicht weiterlesen und auf die Übersetzung ‚Alternativ(en)gipfel‘ stoßen oder in der Einführung zu SiG103 die Bezeichnung ‚Gegengipfel‘ finden. Hingegen ist der Titel des Aufrufs „Europa geht anders“ sofort verständlich und zupackend formuliert. Auch die Abschlusserklärung des Umverteilungskongresses enthält einen ansprechenden Leitsatz: „Ein anderes Europa ist nötig! Und es ist möglich!“ – anknüpfend an die bekannte Attac-Losung „Eine andere Welt ist möglich/nötig“.

Die drei Initiativen stimmen weitgehend in ihrer Hauptstoßrichtung – gegen Austeritätspolitik, Sozialabbau, Ungleichheit und Umweltzerstörung – und in ihrem Streben nach einem ‚demokratischen‘, ’sozialen‘ und ‚ökologischen‘ Europa überein.  Die Vorstellungen FÜR ein ‚anderes‘ Europa werden jedoch auf sehr unterschiedliche Weise in die Argumentation eingebracht. Im Manifest des Alter Summit sind alle Forderungen aus der Perpektive des Ziels formuliert: die Alternativen haben also eine Schlüsselstellung. Dazu gehören einprägsame Forderungen wie „Menschenrechte vor Schuldendienst“, „Banken müssen dem Gemeinwohl dienen“, aber auch detaillierte Erörterungen, wie die angestrebten Ziele zu erreichen sind.

Die Abschlusserklärung des Berliner Kongresses fordert einen „Kurswechsel“ – den Prozess der Umverteilung „von unten nach oben“ umzukehren, in enger Verknüpfung von Weg und Ziel. Besonders griffig sind hierbei Alternativen aus gewerkschaftlicher Sicht formuliert: „gute Arbeit für alle“, „existenzsichernde Einkommen“, „Sicherung der Daseinsvorsorge, getragen von einer lebendigen Bürgergesellschaft“. Der österreichische Aufruf richtet sich gegen den „Wettbewerbspakt“ und die Austeritätspolitik der EU, wobei die im Detail geforderte „Kehrtwende“ vor allem an allgemeinen Zielen (Stärkung der Demokratie und sozialen Sicherheit) orientiert ist. Aber auch hier spielen weiterreichende Vorstellungen hinein, die die Initiatoren des Aufrufs ergänzend in ihrer „Vision eines anderen Europa“ umreißen.

Wie realistisch die verschiedenen Vorstellungen sind, welcher Voraussetzungen sie bedürfen, wie sie miteinander zusammenhängen – darüber wird weiter nachzudenken und zu diskutieren sein. Auch die sprachlichen Mittel, um diese Vorstellungen lebendig zu machen und unter die Menschen zu bringen, sind näher zu erkunden und zu erproben. Die hier vorgestellten Initiativen sollten zu einer weiterführenden Auseinandersetzung mit diesen Fragen anregen. Denn zweifellos können Ideen für ein ‚anderes‘ Europa, für eine positive Alternative zur jetzigen EU-Politik viel mehr bewegen als es kritische Abwehr und Protest allein vermögen.

Quellen:
Abschlusserklärung zum Kongress „Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit.“ 24.-26. Mai 2013 in Berlin (Text)
Alter Summit 7-8 Juni 2013 (Homepage): Manifest der Menschen in Europa (Text)
Aufruf: Europa geht anders (Homepage) (Aufruf) (Initiatoren)
Sand im Getriebe – SiG103

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