Abhöraffäre

Die Praxis des Abhörens von Bürgerinnen und Bürgern mittels Funktechnik durch geheimdienstliche Organisationen ist zwar eine relativ neue Erscheinung der jüngeren Menschheitsgeschichte. Schließlich ist eine relativ ausgefeilte Technik notwendig, wenn die Tatsache des Abhörens geheim bleiben und die abgehörte Person nicht sofort damit konfrontiert werden soll. Noch zu Zeiten des Kalten Krieges waren einer großflächigen Abhörpraxis durch mangelnde technische Möglichkeiten, verglichen mit heute, relativ enge Grenzen gesetzt.

Seit jedoch in Zeiten von Internet und Satelliten diese Möglichkeiten ins nahezu Grenzenlose gewachsen sind, sind auf Seiten derjenigen, die Interesse an der Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern haben, Begehrlichkeiten geweckt worden, die kaum noch in Grenzen zu halten sind. Verglichen mit den heute bestehenden technischen Abhörmöglichkeiten sind die von George Orwell in seinem 1948 geschriebenen Roman „1984“ vorausgeahnten oder auch nur die von der Staatssicherheit der DDR praktizierten Abhörtechniken harmlos, wenn nicht gar Kindergartenangelegenheiten.

Obwohl das systematische Abhören prinzipiell und tendenziell aller Bewohner dieses Planeten eine relativ neue Erscheinung ist, ist der Apparat, der dieses ermöglicht, durchaus auf Dauer angelegt, ist also Teil des Unterdrückungsapparats derjenigen, bei denen sich die Macht auf diesem Planeten konzentriert. Dennoch benutzt der überwiegende Teil der Journalisten des Jahres 2013 den Begriff „Abhöraffäre“, obwohl eine „Affäre“ gerade eine Angelegenheit bezeichnet, die nicht auf Dauer angelegt ist, sondern über kurz oder lang, auf welche Weise auch immer, beendet wird.

Nach Wikipedia bezeichnet „der Begriff Affäre … einen Skandal in Politik, Wirtschaft oder Medien, ein sexuelles Liebesabenteuer … oder eine unangenehme, dunkle, peinliche oder skandalöse Angelegenheit. Das Wort wurde im 17. Jahrhundert aus dem französischen affaire entlehnt, einer Zusammenrückung aus (avoir) à faire (‚zu tun (haben)‘). Die Wortbedeutung war zunächst nur ‚Angelegenheit‘, dann wurde Affäre ein Euphemismus für ‚Liebschaft‘ oder Sexbeziehung … Heute wird Affäre vorwiegend zur Benennung einer skandalösen Angelegenheit in Politik und/oder Wirtschaft gebraucht.“

Ebenfalls nach Wikipedia bezeichnet „ein Skandal … ein Aufsehen erregendes Ärgernis und die damit zusammenhängenden Ereignisse oder Verhaltensweisen. Das Wort ist im Deutschen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts belegt. Es wurde aus dem gleichbedeutenden französischen scandale entlehnt, das auf das kirchenlateinische scandalum zurückgeht, dieses wiederum auf das griechische skandalon ‚Fallstrick, Anstoß, Ärgernis‘. Das abgeleitete Adjektiv skandalös mit der Bedeutung ‚ärgerniserregend, anstößig‘ sowie ‚unerhört, unglaublich‘ findet sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts. Skandal wird häufig synonym zum Begriff Affäre verwendet.“

Die in Rede stehende „Abhöraffäre“ wenigstens „Abhörskandal“ zu nennen, käme dem Gewicht und der Gefährlichkeit dieser „Angelegenheit“ schon näher, auch wenn eine solche Verschärfung der Dauerhaftigkeit dieses „Ärgernisses“ ebenfalls noch nicht Rechnung trüge. Es herrscht aber die Bezeichnung „Abhöraffäre“ vor, als ginge es um ein vorübergehendes „Ereignis“, das den Journalisten ihre „Sommerlöcher“ füllen und im Herbst wieder vergessen sein sollte. Kurz, die äußerst dauerhafte Abhörpraxis der Geheimdienste im Dienste der herrschenden Kapitaleigner soll einmal mehr auf Biegen und Brechen verharmlost werden. Vielleicht hören wir demnächst auch von „Kriegsaffären“, „Krisenaffäre“, vielleicht sogar einmal von einer „Kapitalismusaffäre“.

Quellen:

Der Begriff „Abhöraffäre“ wird auf den Rundfunkkanälen des Deutschlandfunks ständig benutzt seit bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA systematisch und weltweit in großem Stil Nachrichten aller Benutzer elektronischer Geräte abhört.

Wikipedia: Affäre/Skandal

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4 Antworten zu Abhöraffäre

  1. Stephan schreibt:

    Ich stimme mit Ortwin ueberein, dass „Affaere“ ueber die Tatsache hinwegtaeuscht, dass Daten systematisch and laengerfristig gesammelt werden. Wahrscheinlich ist mit „Affaere“ eher die zeitweilige Aufregung in der Medienwelt gemeint. Auch ist – nebenbei bemerkt – der Begriff „Abhoeren“ etwas antiquiert, da das Daten erfassen weit ueber Audiodaten hinausgeht und wahrscheinlich weit mehr Textdaten (Email, SMS usw.) umfasst. Aber von „Skandal“ zu sprechen, faende ich wiederum auch etwas dramatisierend. Als ob wir nicht laengst wuessten, dass Daten systematisch erfasst werden. Natuerlich ist es wichtig durch Leute wie Snowden nochmal „offiziell“ darauf aufmerksam zu werden, aber in Regierungszirkeln und unter informierten Leuten ist das Ausmass der Datenerfassungsmassnahmen doch laengst bekannt. Man sollte dabei auch fairerweise sagen, dass es sich oftmals um aggregierte Metadaten handelt. Also anders als zu Zeiten von Stasi & Co., ermoeglicht Digitalisierung nicht nur eine systematischere Erfassung, sondern auch eine viel weitergehende Analyse and Aggregierung von Daten. Ich finde es bei all dem interessant, wie sehr die Deutschen Ihren „Datenschutz“ verteidigen – so als gaebe es Geheimdienste erst seit gestern. Dabei hat der Verfassungsschutz sicher schon seit Jahren, insbesondere nach 9/11, ein Informationssystem, womit mehr oder weniger „verdaechtige“ Menschen und Aktivitaeten ueberwacht werden. Nur wird das in der Oeffentlichkeit nicht so wahrgenommen. Was NSA usw. macht ist zwar umfangreicher, aber im Prinzip aehnlich. Ich stimme mit Ortwin ueberein, dass eine demokratische Kontrolle dieser Aktivitaeten fehlt und damit eine gewisse Eigendynamik der Selbstrechtfertigung entsteht. Aber eine Emotionalisierung kann auch von der Realitaet ablenken, dass etwa Formen der Radikalisierung – in Zeiten des Internet – subtiler und schwerer zu erfassen sind, dass es ab und zu wirklich zu Anschlaegen kommt (und diese nicht nur a la 1984 als fiktive Drohkulisse dienen) und dass – zumindest aus meiner Sicht – Interessen nationaler Sicherheit immer noch von reinen Interessen des Machterhalts Einzelner zu trennen sind. Auch finde ich es wichtig, nicht den Anspruch zu erheben, dass komplexe moderne Gesellschaften nun unbedingt „perfekt“ sein muessen. Ich glaube beispielsweise nicht, dass jene Deutschen, die Ihren Datenschutz beeintraechtigt sehen, ihr – i.d.R. ziemlich gutes – Leben in Deutschland mit einem Leben in Laendern tauschen wuerden, wo es ganz andere Probleme gibt, wie Korruption, politische Instabilitaet, krasse Armut, mangelnde Infrastruktur, fehlendes Rechtssystem usw. Insofern haben wir es hier auch mit Luxusproblemen zu tun.

  2. Sabine schreibt:

    Aufschlussreich für die Diskussion um ‚Affäre‘ oder ‚Skandal‘ beim Thema NSA ist folgende Erörterung in der Berliner Zeitung v. 4.9.13.
    Zunächst die Meldung: Die schwarz-gelbe Koalition hat eine neue Debatte des Bundestags über die NSA-Spionageaffäre vor der Bundestagswahl verhindert. Wie Michael-Grosse-Brömer feststellte, gebe es „nicht einen Beleg für die massenhafte Ausspähung“ von Bundesbürgern … „es ist die Skandalisierung eines Themas, das keinen Skandal darstellt“ (S. 1).
    Dazu ein Kommentar von Christian Bommarius: Die Bundesregierung hat in einem recht – es gibt keinen NSA-Skandal. Ein Skandal hat eine überschaubare Größe, er setzt die Verletzung einer rechtlichen oder sittlichen Norm voraus. Hier aber handelt es sich um die Konstruktion einer neuen Wirklichkeit. Michael-Grosse-Brömer hat die Verweigerung der NSA-Debatte damit begründet, sie würde die Bürger verwirren. Hier spricht die Stimme der Postdemokratie. Ihr Erkennungszeichen ist es, dass zwar die demokratischen Institutionen funktionieren, aber die relevanten Entscheidungen an anderer Stelle und vor allem ohne Mitwirkung der Bürger getroffen werden (S. 4).

  3. Reinhard schreibt:

    Ortwin geht es um eine Bezeichnung – „Abhöraffäre“ – , die der Sache nicht gerecht werde, weil sie von den wirklichen Dimensionen der Sache, nämlich der totalen Datenerfassung, ablenke und schlägt „Abhörskandal“ vor. Stephan hingegen gefällt dieser Begriff auch nicht so recht, weil es ja nicht nur um Audiodaten gehe, vor allem aber, weil er etwas dramatisiere, was sozusagen bekannte Alltagsnormalität sei.

    Nun vielleicht ist es in einem Land, das die Führungsrolle in der Welt beansprucht vielen geläufiger, dass zu dieser Führungsrolle auch gehört, über den Rest der Welt und der Menschheit bestens informiert zu sein. Wenn man aber wie zum Beispiel in Deutschland beim kleinsten und harmlosesten Vertrag einer Erklärung unterschreiben muss, dass man über seine Datenschutzrechte sorgfältigst informiert und aufgeklärt wurde, kommt man sich dann doch ziemlich veralbert vor, wenn man mitbekommt, dass der Gesetzgeber dieser übertriebenen Datenschutzgründlichkeit ohne Not den Datenhunger der Führungsmacht überm großen Teich beflissen bedient.

    Bleibt die Frage, wozu braucht man all diese Daten? Immerhin erklärt uns Stephan ja, sie würden aggregiert und zu Metadaten aufbereitet.

    Vielleicht sind diese Metadaten ideologische, politische und wirtschaftliche Machtinstrumente für Freiheit und Demokratie in der Welt. Dann sollten wir uns nicht länger genieren. Oder will man sich auf einem zunehmend ausgepowerten Planeten nur das amerikanische Paradies vor dem Rest der Welt sichern? Dann allerdings sollten wir gelegentlich – vielleicht nach der Bundestagswahl – nochmal über das Ganze nachdenken!

  4. Reinhard schreibt:

    Ich komme auf den letzten Absatz meines Kommentars vom 10.09.2013 zurück. Der jüngste Bericht über Frau Merkels Handy könnte eine Antwort auf die von mir seinerzeit gestellte Frage sein. Oder liege ich da falsch? Vielleicht geht es auch bei dieser Überwachung nur um die Wahrung von Freiheit und Demokratie in der Welt. Man kann ja nie wissen, schließlich kommt diese Fau aus dem Osten… 🙂

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