Nach der kürzlichen Bundestagswahl haben linke Autoren in den „Blättern“ die Chancen für einen politischen Richtungswechsel ausgelotet und für eine alternative Debatte und ein breites Bündns linker Kräfte – kurzum „für ein völlig neues Crossover“ plädiert(1). Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Welche Botschaft vermittelt er?
Crossover ist ein Begriff aus der Musiktheorie, er bezeichnet dort die Überkreuzung oder Durchquerung verschiedener Genres. In den 1990er Jahren wurde er zunächst im Sinne einer Bündnisstrategie auf die politische Praxis übertragen. Linke Strömungen in SPD, PDS und den Grünen organisierten Diskussionsprozesse, um ein alternatives Projekt zu entwickeln. Doch die Bündniskonstellation zerbrach an der Politik der ersten rot-grünen Bundesregierung (1998-2005). Nach erneuten Versuchen führte Anfang 2010 die Gründung des Instituts Solidarische Moderne (ISM) zu einer Institutionalisierung des Crossover, vor allem als Weg alternativer Wissensproduktion(2).
Wie die linken Autoren rückblickend feststellen, sind die Bemühungen, durch eine Crossover-Debatte einen alternativen Parteienblock zu begründen, gescheitert. Aus ihrer Sicht könnten die Ergebnisse der Bundestagswahlen 2013 jedoch zum Ausgangspunkt für ein neues, nicht länger parteienzentriertes Crossover-Projekt werden. Um Bündnisse mit tragfähigen Forderungen und gesellschaftlicher Dynamik hervorzubringen, bedarf es eines breiten öffentlichen Dialogs über Alternativen sowie der Vernetzung und Kooperation der zahlreichen Gruppen, Initiativen und Bewegungen(1).
Mit diesen Vorstellungen setzen sich die Autoren für ein „völlig neues Crossover“ ein. Zu fragen wäre allerdings, wieweit dieser Begriff die beabsichtigte Botschaft an die Öffentlichkeit vermitteln kann. Mit der ursprünglichen Ableitung aus der Musik und Ansiedlung im politischen Diskurs war Crossover ein sehr anspruchsvolles Konzept, und damit sicher reizvoll für einen relativ engen Kreis von Anhängern. Dabei wurde der Begriff so frei ausgedeutet, dass von seiner ursprünglichen Bedeutung kaum noch etwas zu erkennen war. Auf der Webseite des ISM heißt es: „Wir entwickeln [neue linke Politikkonzepte] im Brückenschlag zwischen Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen. Das ist für uns Crossover: Grenzen überwinden, gemeinsam an emanzipatorischen Ideen arbeiten“(3).
Wenn allerdings eine viel breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit angesprochen und bewegt werden soll, könnte der Begriff bestenfalls Neugierde wecken, aber kaum einer klaren Botschaft dienlich sein. Denn Crossover, als Fremdwort aus dem Englischen, wird im Deutschen nur auf speziellen Fachgebieten verwendet(4). Im Alltagsverständnis hingegen dürfte es am ehesten mit dem Straßenverkehr oder ähnlichen praktischen Vorstellungen verbunden werden: ‚crossing‘ (Kreuzung) oder ‚to cross over‘ (überqueren), ähnlich wie es auch im Wörterbuch übersetzt wird(5). Das heißt, der Gedankensprung zu dem politischen Anliegen von Crossover wäre viel zu groß, um Zugkraft zu haben. Es wäre daher sicher vorteilhaft, Schlüsselbegriffe für das neue linke Projekt unmittelbar aus dem Wortschatz der angestrebten politischen Debatte zu schöpfen.
Quellen:
(1) „Für ein völlig neues Crossover: Die Wiederbelebung des linken Projekts“ v. André Brie, Frieder Otto Wolf, Michael Brie und Peter Brandt in Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2013 [Link]
(2) „Crossover“ v. Sonja Buckel u. Andrea Ypsilanti in „ABC der Alternativen 2.0“. Hg. v. Ulrich Brand, Bettina Lösch, Benjamin Opratko u. Stefan Thimmel. VSA Verlag Hamburg 2012
(3) „Crossover“ – Institut Solidarische Moderne (http://www.solidarische-moderne.de) [Link]
(4) „Crossover“ – Duden/ Wikipedia [Link]
(5) „crossover = crossing: Durchquerung, Überquerung; Überfahrt, Übergang; (Straßen-)Kreuzung“/ „to cross over: hinübergehen, hinüberfahren, übersetzen“ – Langenscheidt
Ja, kann da nur zustimmen. Ich verstehe auch gar nicht, wie man ueberhaupt auf die Idee kommen kann, solch einen inhaltsleeren Begriff fuer ein angestrebtes Linksbuendnis zu reservieren. Vielleicht will man ja junge Leute damit anziehen. Inwieweit allerdings bei zunehmendem mehr oder weniger opportunistischen Koalitions-Crossover (rot/gruen-schwarz, rot-gruen, rot-rot) die Kategorie ‚links‘ gerade unter jungen Leuten ueberhaupt noch was bedeutet, frage ich mich manchmal. In Zeiten wo regulaere Beschaeftigung out und freies Unternehmertum in ist, wen soll solch ein Buendnis ueberhaupt repraesentieren? Aber vielleicht ist ja genau das das Problem und der Grund fuer diese selbstgewaehlte Leere. Let’s cross over and see what happens.