Eine deutschlandweite Konferenz ist angesagt – mit dem programmatischen Titel „Care Revolution“ (14.-16.3.14 in Berlin (1)). Worum geht es da? Was ist mit ‚Care‘ und ‚Revolution‘ gemeint? Woher kommt der englische Titel, und welche Wirkung könnte er haben?
In einem Interview hat die Koordinatorin, Barbara Fried, das weitreichende Anliegen der Konferenz umrissen: „Der Neoliberalismus hat zu einer Erschöpfung des Sozialen geführt… Kein Wunder, dass sich Kämpfe zunehmend um soziale Reproduktion drehen – und zwar weltweit. Viele streiten für Veränderungen im Bereich Gesundheit, Pflege und Assistenz, Kinderbetreuung und Bildung, für bezahlbaren Wohnraum, gegen Armut und für Zeitsouveränität. Bisher bleiben diese Kämpfe aber meist unverbunden. Die Aktionskonferenz versteht sich hier als ein erster Schritt der Vernetzung, bringt unterschiedliche Basisaktivist_innen und Initiativen über ein breites politisches Spektrum hinweg zusammen (2).“
Es geht also um breit gefächerte Probleme der ’sozialen Reproduktion‘ bzw. der ‚Sorge füreinander‘ oder der ‚zwischenmenschlichen Sorge‘, wie es in den einzelnen Texten zur Konferenz heißt (siehe Quellen). In diesem Sinne wird auch das Schlüsselwort ‚Care‘ verstanden, bezogen auf „alle Formen von Sorge-Arbeit im institutionellen und privaten Rahmen – bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten“ (3). Das kurze Wort ‚Care‘ bringt also sowohl den sperrigen Reproduktionsbegriff als auch die große Palette von Aktivitäten auf einen Nenner. Interessanterweise taucht dieses Wort aber nicht eigenständig, sondern nur in Wortverbindungen auf. Dazu gehören, außer ‚Care Revolution‘, vor allem ‚Care Work‘ oder ‚Care-Arbeit‘ – neben ‚Sorgearbeit‘ oder ‚Reproduktionsarbeit‘, weiterhin ‚Care-Bereich‘, ‚Care Worker‘ und ‚Care-Communities‘ (vgl. Quellen 1-6).
In all diesen Fällen ist ‚Care‘ gleichbedeutend mit dem (ebenfalls weitgefassten) ‚Sorge‘-Begriff, doch das englische Wort hat einen anderen Unterton: Es scheint unbelastet von den negativen Empfindungen und der Geringschätzung, die dem deutschen Wort ‚Sorge‘ anhaften. Sogar positive Gedankenverbindungen zu der beliebten Wendung „take care!“ können mitschwingen. Dahinter stecken unterschiedliche Bedeutungsfelder: Im Deutschen ist ‚Sorge für jemanden/etwas‘ (auch ‚Fürsorge‘) sprachlich und gedanklich nicht weit weg von ‚Sorge um jemanden‘ oder auch ‚Sorge(n)‘ als seelische Bedrückung. Unbewusst klingen diese Bedeutungen auch bei Begriffen wie ‚Sorgearbeit‘ mit an. Hingegen kann das englische Wort ‚care‘ außer Sorge/ Kummer sowohl Obhut/ Schutz/ Fürsorge als auch Sorgfalt/ Aufmerksamkeit/ Vorsicht und Pflicht bedeuten. Und daneben gibt es das häufig gebrauchte Wort ‚worry‘ (Kummer/ Sorge/ Unruhe/ Ärger), das eher für die bedrückenden Empfindungen zuständig ist (Wortentsprechungen vgl. Langenscheidt).
So ermöglicht das entlehnte Wort ‚Care‘, die Sorge um andere Menschen aufzuwerten (vgl. 4) bzw. neu zu denken. Dabei löst es aber das ursprüngliche Wort ‚Sorge‘ nicht ab, sondern wirkt als belebende Zugabe, wie die betrachteten Texte zeigen. Nach wie vor scheinen zudem etliche Wortverbindungen wie ‚Sorgeanforderungen‘, ‚Sorgebeziehungen‘, ‚Sorgeempfänger_innen‘, ‚Sorgeverpflichtungen‘ oder ‚Sorgerecht‘ (vgl. Quellen 1-6) ohne englische Variante zu bleiben, wahrscheinlich weil sie bereits in arbeits- und sozialrechtliche Zusammenhänge eingebunden sind.
Doch wie erklärt sich nun das Schlüsselwort der Konferenz? Den Begriff ‚Care Revolution‘ erfand, wie Sebastian Dörfler (4) ausführt, die Arbeitswissenschaftlerin Gabriele Winker vom Feministischen Institut Hamburg. In ihrem Aufsatz von 2009 (5) schrieb sie: „Mit einem Aufruf zur
Care Revolution möchte ich das strategische Schweigen durchbrechen und dazu auffordern, Sorgearbeit in ihrer Bedeutung und Gestaltung gesellschaftlich neu zu diskutieren.“ Und in einem Text von 2012 ergänzte sie: „In dieser Situation einer sozialen Reproduktionskrise plädiere ich für einen grundlegenden Perspektivenwechsel, eine Care Revolution (6).“
An diese Überlegungen knüpft die Konferenz unmittelbar an. Um den Namen ‚Care Revolution‘ zu verdienen, wie Barbara Fried hervorhebt, müssen all die Aktionen auf einen Umbau der Ökonomie zielen. Es gehe darum, „kleine Alltagsveränderung mit langfristigen Transformations-Perspektiven zu verbinden (2).“ In diesen Zusammenhang gehört übrigens die ‚care economy‘, verstanden als ‚lebensnotwendige Versorgungsarbeiten‘ (7). Elmar Altvater hat sie in seinem Artikel über Utopie als eine von vielen Alternativen erwähnt, die in die Zukunft weisen (8). Bei alledem ist ‚Care Revolution‘ jedoch kein abstrakt-theoretisches Konzept, sondern vor allem ein kraftvoller Anstoß zum Handeln.
Und damit sind wir bei der Wirkung von ‚Care Revolution‘. Als Aktionsaufruf und Konferenztitel kommt dieser Begriff bestimmt bei vielen an, die auf diesem Gebiet engagiert sind, und sicher auch bei Jugendlichen, für die Englisch attraktiv und ‚Revolution‘ aufregend ist. Bei anderen, vor allem Älteren, unter denen zahlreiche aktiv Sorgende sind, mag der Begriff vielleicht auf Neugier, eher aber auf Unverständnis stoßen. Das sollte aber nicht zur voreiligen Ablehnung verleiten. Zweifellos ist ‚Care Revolution‘ eine interessante Wortschöpfung (nicht durch ‚Sorge-Revolution‘ zu ersetzen!), die das Repertoire alternativer Initiativen sprachlich bereichern könnte.
Quellen:
(1) Care Revolution: Aktionskonferenz in Berlin 14. bis 16. März 2014 [Webseite]
(2) Die Aktionskonferenz „Care Revolution“: Interview mit Koordinatorin Barbara Fried. Rosa-Luxemburg-Stiftung [Link]
(3) „Die Menschen sind erschöpft“. Barbara Fried fordert eine »Care Revolution« (Interview) Neues Deutschland v. 05.03.2014 [Link]
(4) Sie nennen es nicht Arbeit. Sebastian Dörfler in Freitag online 16.12.2013 [Link]
(5) Care Revolution – ein Weg aus der Reproduktionskrise. Gabriele Winker (16.12.2009) [Link: PDF]
(6) Menschenwürde statt Profitmaximierung. Zur sozialen Reproduktion in der Krise und einer Care Revolution als Perspektive. Gabriele Winker (14.06.2012) [Link]
(7) Nachhaltiger Wohlstand für alle: Neun Herausforderungen für eine zukunftstaugliche Entwicklung. Hans Holzinger in SOL – Zeitschrift für Solidarität, Ökologie und Lebensstil, Nr. 144 – Sommer 2011 [Link: PDF]
(8) Utopie statt Sachzwang: Für ein alternatives Wirtschaften. Elmar Altvater in Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2013 (S. 100)
Ein aufschlussreicher Artikel ist erschienen: „Die Care-Revolution: Was ist uns Fürsorge wert?“ v. Sebastian Dörfler in Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2014 [Link]. Darin werden nicht nur die sozialpolitischen Zusammenhänge erörtert, sondern auch die zentralen Begriffe angesprochen. Schon die Überschrift bietet eine sinnvolle Entsprechung zu ‚Care‘: das positiv besetzte Wort ‚Fürsorge‘. Zugleich wird in folgenden Zitaten aus dem Artikel deutlich, dass der Begriff ‚Care‘ im deutschen Sprachgebrauch angekommen ist:
# „… die zwischenmenschliche Sorgearbeit, für die sich mittlerweile der Begriff ‚Care-Arbeit‘ durchgesetzt hat…“
#“… unter dem Begriff ‚Care-Revolution‘ verbinden sich derzeit erste Ansätze einer neuen gesellschaftlichen Bewegung…“
#“… bei den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt am Main [feierte] die ‚Care-Revolution‘ ihren Einstand in die deutsche Protestkultur…“
Übrigens, hörenswert ist eine Sendung des Bayerischen Rundfunks v. 6.10.13 u.a. zur Blockupy-Aktion ‚Care Mob‘ [Podcast].