Stoppt TTIP! Wie befördert Sprache den Protest?

Die Propaganda um das ‚Transatlantische Freihandelsabkommen‘ zwischen der EU und den USA haben wir schon in einem früheren Beitrag enthüllt [TAFTA/TTIP]. Inzwischen ist die kritische Auseinandersetzung mit TTIP einschließlich vielfältiger Protestaktionen ins Blickfeld gerückt. Es könnte also interessant sein, die sprachlichen Mittel des gegenwärtigen Protests näher zu erkunden. Dazu fragen wir nach den Anfängen des TTIP-Protests, vergleichen ihn mit bereits bekannten Protestbewegungen und beleuchten Ausdrucksmittel der gegenwärtigen Anti-TTIP-Kampagne. All das soll dazu anregen, Sprache noch bewusster und wirkungsvoller für den TTIP-Protest einzusetzen.

TTIP-Protest

Die Vorhaben und Verhandlungen zu TTIP waren von Anfang an weitgehend geheim, selbst die nationalen Regierungen sind bis jetzt unzureichend informiert und überdies zur Geheimhaltung verpflichtet. So entstand ein Informationsvakuum bei gleichzeitig wachsender öffentlicher Beunruhigung. In dieses Vakuum konnten Kritiker hineinstoßen – mit ihren Enthüllungen, Analysen und Protesten. Die Initiatoren der Protestbewegung gegen TTIP – sowohl in Brüssel (u.a. Antilobbygruppe Ceo) als auch in Deutschland (u.a. Attac und Campact, Gewerkschaften, Umweltgruppen und Kulturverbände) – haben sich frühzeitig um vielfältige Ausdrucksmittel (analytische, agitatorische und künstlerische) bemüht und dabei Wert auf eine geeignete sprachliche Umsetzung gelegt. Ein Kristallisationspunkt der Protestbewegung waren die Europawahlen im Mai dieses Jahres. Indem TTIP zu einem Schwerpunkt des europaweiten Wahlkampfes gemacht wurde, sind die Proteste ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerückt.

Protestbewegung

All das sind günstige Voraussetzungen für Protestaktionen gegen TTIP. Doch trotz florierender Kritik ist es schwer, die breitere Bevölkerung zu erreichen und sie für Protestaktionen zu mobilisieren. Ganz allgemein hängt das damit zusammen, dass Brüssel relativ weit weg liegt, dass die TTIP-Probleme vielschichtig und kompliziert sind und dass die Mehrheit der Bevölkerung entpolitisiert ist (vgl. Markwardt). Im besonderen fehlt die Erfahrung, für dieses Thema auf die Straße zu gehen: Es gibt zwar eine Umweltbewegung und eine Friedensbewegung, aber bisher noch keine Anti-Freihandels-Bewegung – die entsteht erst jetzt (vgl. Werdermann).

Doch um so mehr kommt es auf geeignete Mittel für den Protest an. Dazu lohnt es sich, genauer hinzusehen, was bei anderen (zurückliegenden) Kampagnen für Erfolg sorgte und ob es vergleichbare Ansätze bei den TTIP-Protesten gibt. Ein gutes Beispiel ist die Anti-AKW-Bewegung. Deren Siegeszug beruhte nicht zuletzt darauf, „dass sie über ein klar formuliertes Ziel und in Folge über ein Repertoire an starken Symbolen und Ritualen verfügte, die als langfristiges Medium der Selbstvergewisserung dienten. Großdemo vor dem Reichstag, Blockade im Wendland oder der ‚Atomkraft? Nein danke‘-Sticker: All das bildete die kommunikativ-ikonografische Grundlage ihres Erfolgs“ (vgl. Markwardt).

Was vermitteln diese Erfahrungen für die Anti-TTIP-Bewegung, insbesondere für die sprachlichen Mittel des Protests? Wie steht es hier um Botschaften, Symbole und Rituale?

Botschaften

Ein klar formuliertes Ziel – das scheint beim TTIP-Protest ganz einfach: „Stoppt TTIP“! Schwieriger ist es jedoch, die Gefahren von TTIP zu benennen und daraus Botschaften für Kritik und Protest abzuleiten. Das beginnt beim Hauptbegriff ‚TTIP‚ bzw. ‚Freihandelsabkommen‘. Zwar gelang es nicht, ihn durch kritische Ausdrücke (oder besser: einen Leitbegriff) zu ersetzen, doch die massiven Warnungen vor den negativen Folgen dieses Vorhabens zeigten Wirkung: „Immer mehr Bürger, die zum ersten Mal von TTIP hören, verbinden damit also gleich etwas Negatives“ (Pinzler). Das geschah vor allem über die Gedankenverbindung zu konkreten Kritikpunkten, wie ‚Import amerikanischer Chlorhühnchen‘, ‚Genmais und Fracking‘, ‚Ende der Buchpreisbindung‘, ’sinkende Umweltstandards‘ und ‚geheime Schiedsgerichte‘.

Wie können solche  Kritikpunkte sachkundig und wirkungsvoll vermittelt werden? Die Brüsseler Anti-Lobbyistin Pia Eberhardt (Ceo) hat das vorgeführt. Zur komplizierten Problematik der Schiedsgerichte z.B. sagte sie knapp: „Schiedsgerichte sind die politische Waffe von Konzernen, um den Vorrang der Politik zu untergraben“ (vgl. Riesbeck). Sehr zu empfehlen ist ihre Enthüllung zu TTIP bei WDR5 [Video: Link].

Nützlich sind auch Handzettel, die Attac (Berlin) für ausgewählte Themen entworfen hat, z.B. zur Daseinsvorsorge. Übersichtlich und leicht verständlich wird erklärt, warum TTIP die Öffentlichen Dienstleistungen gefährdet und was dagegen zu tun ist [Link]. Treffsichere Kurznachrichten verbreitete Attac über Twitter zum Stichtag der 5. Verhandlungsrunde (19.5.14), z.B.: „TTIP bedeutet nicht USA gegen EU, sondern Konzerne gegen Bürger_innen (11:39)“ [Link].

Das Netzwerk Campact ist ebenfalls kreativ in der Kurzform: Auf seinen Türanhängern zur Europawahl wurden die Positionen der Parteien zu TTIP jeweils in einem Satz zusammengefasst und symbolisch bewertet – grüner/gelber/roter Daumen (vgl. Werdermann). Das österreichische Bündnis „TTIP stoppen“ hat die Auswirkungen des Abkommens in vier Szenen enthüllt, die mit einprägsamen Titeln überschrieben sind: #Demokratie in Geiselhaft #Gen–Food im Warenkorb? #Schöne neue Arbeitswelt und #Entscheidung hinter verschlossenen Türen [Link].

Zum klar formulierten Ziel gehören griffige Ausdrücke und Losungen, die TTIP bloßstellen und zugleich die Neugier bzw. den Nerv der Leute treffen. Beispiel: das Motto der Kul.tour-Aktion: „Raus aus der Freihandelsfalle!“ [Link]. Die Losung des österreichischen Aktionsbündnisses verbindet Protest mit Alternative: „TTIP stoppen – Transatlantische Partnerschaft sieht anders aus“ [Link].

Wirkungsvoll können auch Wortspiele sein, wenn sich ihr (Doppel-)Sinn erschließen lässt. Beim Namen des Aktionsbündnisses „TTIP-Unfairhandelbar“ scheint das allerdings fraglich: die eigentliche Botschaft steckt im ursprünglichen Wort „unverhandelbar“, während „unfair“+“handelbar“ keine deutliche Aussage ergibt.

Für klare und zugleich emotional bewegende Botschaften ist die Kombination von Text und Bild geeignet. Besonders wirkungsvoll ist der kleine Stift-Film (von Jonas Kramer) auf der TTIP-Seite von Attac [Link]. In vier Minuten erfährt man hier leicht fasslich und ansprechend, was TTIP in sich birgt und weshalb es gestoppt werden muss.

Als einprägsam und Verständnis erleichternd erweisen sich häufig sprachlich dargestellte Bilder bzw. Bildszenen, um noch unbekannte oder relativ komplizierte Sachverhalte zu erklären. Beispiel: Um das europäische Vorsorgeprinzip zur Gewährleistung von Produkt- oder Verfahrenssicherheit zu erläutern, greift eine Erklärung auf das Bild eines unzulänglich gesicherten Brunnens zurück. Während der amerikanische Brunnen lediglich durch eine Schwelle gegen eine gefährliche Annäherung schützt und bei eingetretenem Personenschaden auf mangelnde Vorsicht des Geschädigten verwiesen wird,  ist der europäische Brunnen durch einen hohen Zaun und durch zusätzliche Warnschilder gesichert, so dass einem möglichen Unfall weitestgehend entgegengewirkt wird. Die Vorsorgeverantwortung liegt hier also beim (Brunnen-)Anbieter, nicht beim davon angelockten ‚Interessenten‘.

Auch Straßenaktionen führen TTIP lebendig vor, allerdings auf einfache Botschaften konzentriert, wie z.B. die Protestaktion von Attac am Brandenburger Tor (6.5.14) unter dem Motto „Zivilgesellschaft macht Dampf gegen den Konzern-Deal“ [Link].

Symbole und Rituale

Und wie steht es mit Symbolen? Aus sprachlicher Sicht könnten das Schlagworte mit starker Vorstellungskraft sein. Aus der TTIP-Kritik fallen uns sofort die „Chlorhühnchen auf unseren Tellern“ ein, die bereits als „Ikone der Anti-TTIP-Bewegung“ gelten (vgl. Abé). Sie beziehen sich zwar nicht auf den wichtigsten Teil der TTIP-Verhandlungen, aber sie treffen den Nerv der konsumkritischen Bevölkerung.

Noch wirkungsvoller wären symbolische Darstellungen (Wort/Bild). Die Grafiken von Attac zeigten zunächst eine „Falle“ als Zeichen der Gefahr („Vorsicht Falle!“ [Link]), gegenwärtig eine „Tonne“ als Appell zum Handeln (Leitspruch „TTIP in die Tonne“ [Link zur Webseite/ Link zu Twitter]). Die Botschaften sind klar, doch haben diese Grafiken schon die Ausstrahlungs- bzw. Identifikationskraft eines Kampagne-Symbols?

Für Rituale schließlich ist die TTIP-Kampagne fast zu jung, denn sie können nicht wie Losungen oder Symbole vorgegeben werden, sondern erst aus dem gemeinsamen Gestalten und Erleben der Protestbewegung selbst hervorgehen. Dennoch wäre schon ein Beispiel anzuführen: die Flash-Mobs im jüngsten Europa-Wahlkampf. Kaum ein Berliner Spitzenpolitiker konnte auftreten, ohne mit einem Flash-Mob der Vertragskritiker konfrontiert zu werden (vgl. Abé et al.).

Fazit

Insgesamt ist das Spektrum der Protestaktionen gegen TTIP beachtlich. Mit der früh einsetzenden Kritik an den – noch geheim gehaltenen – Verhandlungen konnte, zumindest potentiell, eine Deutungshoheit erlangt werden: Das Schlagwort ‚TTIP‘ ist in der öffentlichen Diskussion weitgehend negativ besetzt.

In der kritischen Auseinandersetzung mit TTIP kommt es vor allem darauf an, komplizierte Sachverhalte in leicht fasslichen und einprägsamen Botschaften zu vermitteln. Das ist mit Kurztexten, Losungen und Szenen, und vor allem in der Verbindung von Text und Bild (Beispiel: Stiftfilm) gelungen.

Noch wenig entwickelt scheinen künstlerische Ausdrucksmittel, vor allem Symbole des TTIP-Protest, die geeignet wären, einer breiteren Bewegung Identität und emotionale Kraft zu verleihen.

Quellen:

  • Nicola Abé et al.: Im Säurebad. In Spiegel No 22 v. 26.5.14, S. 20
  • Nils Markwardt: Knietief im System. In: Freitag v. 15.5.14 [vgl. „Fragen Sie nicht Anne Will„]
  • Petra Pinzler: Bizarre Befragung. In: Die Zeit No 15 v. 3.4.14, S. 35 [Artikel]
  • Peter Riesbeck: Die neue außerparlamentarische Opposition. In: Berliner Zeitung v. 20.5.14, S. 10
  • Felix Werdermann: Raus ins echte Leben. In: Freitag v. 22.5.14 [vgl. „Der neue Anti-TTIP-Protest„]

 

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Eine Antwort zu Stoppt TTIP! Wie befördert Sprache den Protest?

  1. Theo Krönert schreibt:

    Auf http://www.groovty.de gehen. Dort ist u.a. der Song “wenn TTIP kommt” zu finden und zu hören (http://www.rrreiche.de/rrreiche/index.php?site=wennttipkommt) – Lautsprecher an!

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