„Linke erkennt man daran, dass sie von Refugees statt von Flüchtlingen reden, und je linker, desto mehr sind sie zum Gebrauch dieses Ausdrucks verpflichtet“, meint Matthias Heine in einem sprachkritischen Artikel in der Welt(1). Ist das wirklich so? Was wären die Gründe dafür? Und welche Alternativen gäbe es?
Für diese Erörterung wollen wir einen Artikel von Anatol Stefanowitsch(2) mit heranziehen. Seiner Analyse zufolge gibt es drei weitgehend neutrale Begriffe: ‚Flüchtling‘, ‚Refugee‘ und ‚Migrant‘. Klopfen wir sie auf ihr Für und Wider in der aktuellen Debatte ab.
Flüchtling
Aus Sicht von Matthias Heine scheuen Linke vor den historischen Nebenbedeutungen dieses Wortes zurück. Weder den Flüchtlingen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten noch denjenigen aus der DDR brächten sie so viel Mitleid entgegen wie den heutigen ‚Refugees‘. Die konservative Rhetorik habe das umgekehrte Problem: gegenwärtige ‚Flüchtlingsströme‘ wären für sie ganz anderer Natur als diejenigen, mit denen die Zufluchtsuchenden nach 1945 bzw. 1961 in das Bundesgebiet kamen. Sicher sind diese gegensätzlichen Sichtweisen in der politischen Debatte anzutreffen, doch können Vorbehalte der Linken gegenüber dem heutigen Flüchtlingsbegriff daraus hergeleitet werden?
Viel eher begegnet man einem sprachlichen Argument, das Anatol Stefanowitsch aufgreift: dass die Nachsilbe -ling in ‚Flüchtling‘ einen negativen Beiklang habe. Das trifft nach seiner Einschätzung tatsächlich für viele Wörter mit -ling zu, z.B. Fremdling, Sträfling und Schwächling. Daneben gibt es auch neutrale Beispiele wie ‚Prüfling‘, ‚Lehrling‘ und Schützling‘, doch viele von ihnen drücken ein Abhängigkeitsverhältnis aus oder wirken verniedlichend. In linken Kreisen werde daher eher das Wort ‚Geflüchteter‘ verwendet, das zugleich einen inhaltlichen Vorzug habe: es sei nicht auf die Aktivität des Flüchtens fixiert – wie etwa beim ‚Flüchtenden‘, der nie nirgendwo ankommt.
Refugee
Dieser Begriff aus dem Englischen ist nicht nur mit dem Willkommensspruch ‚Refugees welcome‘ populär geworden. Er wird von den Linken, aus Sicht beider Autoren, vor allem aus inhaltlichen Gründen befürwortet: ‚refugees‘ sind wörtlich übersetzt Menschen die ‚Zuflucht suchen‘ (von lateinisch refugium = Zufluchtsort). Der Begriff stellt also nicht die Flucht selbst, sondern den erreichten Zufluchtsort in den Vordergrund.
Es bleibt allerdings abzuwarten, meint Anatol Stefanowitsch, ob das Wort ‚Refugee‘ wirklich ins Deutsche entlehnt und hier heimisch wird oder ob sich nicht eher Eindeutschungen wie ‚Zufluchtsuchende‘ durchsetzen werden. Letzterer Begriff würde ähnlich wie ‚Asylsuchende‘ (im Gegensatz zu ‚Asylant‘ neutral!) und wie ‚Geflüchtete‘ verdeutlichen, dass die Flucht zurückliegt und die Menschen angekommen sind.
Migrant
Dieser Begriff bietet einen Perspektivwechsel: über die Flucht besonders aus politischen Gründen hinaus sind Menschen weltweit in Bewegung, um an einem anderen Wohnort frei von Angst, Hunger, Umweltkatastrophen, Diskriminierung und Verfolgung zu leben. Man kann sie allgemein als ‚Migranten‘ (lateinisch migrare = wandern) bezeichnen, ohne nach ihren Beweggründen zu differenzieren. Obwohl auch dieser Begriff einen gewissen negativen Beiklang hat, hielte es Anatol Stefanowitsch für erwägenswert, ihn „als neutrale Bezeichnung zurückzuerobern“.
‚Migranten‘ würden also in einen größeren Zusammenhang – Deutschland als ‚Einwanderungsland‘ – passen. Der Begriff könnte aber weder ‚Flüchtlinge‘ noch ‚Refugees‘ ersetzen, weil er viel weiter gefasst ist. Dabei wäre auch zu berücksichtigen, dass in internationalen Abkommen ganz klar zwischen ‚migrants’/’Migranten‘ und ‚refugees’/’Flüchtlingen‘ unterschieden wird (vgl. Wikipedia: englische/deutsche Ausgabe).
Unser Fazit: Wir sehen keinen zwingenden Grund, im linken Diskurs das Wort ‚Flüchtling‘ zu meiden. Es ist im Deutschen schon lange gebräuchlich und wird in der gegenwärtigen Diskussion von vielen Medien, die eine objektive Sicht anstreben, verwendet. Daneben sind Ableitungen wie ‚Geflüchtete‘ oder ‚Zufluchtsuchende‘ empfehlenswert, um inhaltliche Akzente zu setzen. Und ‚Refugees‘ können im Rahmen der Willkommenskultur sinnvoll sein. Doch am gewohnten und vielseitig verwendbaren Wort ‚Flüchtling‘ mit all seinen Zusammensetzungen (z.B. Flüchtlingsheim, Flüchtlingshilfe) wird wohl keiner dieser Ausdrücke vorbeiführen. Nutzen wir also die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten!
Hier ist ein Beispiel für eine abwechslungsreiche Wortwahl im linken Diskurs: „Refugees welcome! Die GEW Berlin heißt Geflüchtete willkommen… Die Zahl der geflüchteten Menschen steigt… Zahlreiche Mitglieder der GEW engagieren sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe…“ (3)
Quellen:
(1) „Warum Flüchtlinge jetzt oft ‚Refugees‘ heißen“ v. Matthias Heine, Die Welt v. 24.08.15 (Artikel)
(2) „Asylanten, Flüchtlinge, Refugees und Vertriebene – eine Sprachkritik“ von Anatol Stefanowitsch, derstandard.at – 18. 09.15 (Artikel)
(3) „Refugees welcome!“ v. Juliane Zacher, BBZ (GEW Berlin) Oktober 2015
Mir scheint der Gebrauch des englischen ‚Refugee‘ an Stelle von ‚Flüchtling‘ in der „Flüchtlings-Debatte“ weniger darauf zurückzuführen zu sein, dass ‚Flüchtling‘ einen Anklang an einen schwächlichen ‚Schützling‘ oder gar ‚Säugling‘ hat, sondern darauf, dass unhinterfragt vorausgesetzt wird, dass das Englische, die lingua franca des globalisierten Kapitalismus, auch die Sprache aller Untertanen dieses globalisierten Kapitalismus zu sein hat, mithin auch die Sprache derer, die durch die zerstörerischen Einwirkungen dieses globalisierten Kapitalismus auf ihre Heimat aus eben dieser Heimat vertrieben werden um in Europa Schutz zu suchen.
Diese Haltung, dass nämlich die lingua franca des globalisierten Kapitalismus auch die Sprache aller Untertanen dieses globalisierten Kapitalismus zu sein hat kommt insbesondere dann zum Vorschein, wenn sie, von denen zu Hause nur wenige dieses Englische gelernt haben, in unbestritten guter Absicht in einem Land, dessen Sprache auch nicht überwiegend das Englische ist, mit „Refugees welcome“ begrüßt werden. Auch wenn es nicht leicht ist, die ankommenden Flüchtlinge in ihren Muttersprachen, in Bambara, Dari, Hausa, Paschtu, Somali oder Tigrinya zu begrüßen, auf Arabisch, Kurdisch oder Albanisch dürfte das doch nun wirklich kein Problem sein!
Zum letzten Satz: Können Sie Arabisch, Kurdisch oder Albanisch? Vielleicht kein Problem, entsprechende Übersetzer zu engagieren, aber Aufwand. Die englische Fassung ist halt der Versuch, mit möglichst wenig Aufwand von möglichst vielen verstanden zu werden.
Zuviel Kopf und zu wenig Herz hier.
Was sollen denn diese Spitzfindigkeiten?
Zur Abwechslung mal Musik, statt Text:
http://www.rrreiche.de/rrreiche/index.php?site=vorm_zaun
‚Flüchtling‘ ist gerade zum Wort des Jahres gewählt worden; dem alternativen Wort ‚Gefüchteter‘ hingegen gibt der Wort-des-Jahres-Vorsitzende Peter Schlobiski „keine Chance“. Und was meinen Sprachwissenschaftler dazu? Im Sprachlog ist eine detaillierte Analyse erschienen – Fazit:
„Flüchtling ist nach wie vor ein neutral verwendetes Wort zur Bezeichnung von Menschen, die vor Krieg, Armut oder ähnlichem fliehen. Die Alternative Geflüchtete/r hat aber bereits eine deutliche Verbreitung erfahren und es ist wahrscheinlich, dass sie sich langfristig neben Flüchtling etablieren wird.“
http://www.sprachlog.de/2015/12/12/fluechtlinge-zu-gefluechteten/
Um ‚Flüchtende‘ geht es in einer aktuellen Initiative:
Attac D hat zum internationalen Tag der Migration gemeinsam mit Medico international, dem Institut Solidarische Moderne und Publik-Forum eine breite Initiative gestartet: „Flüchtende aufnehmen und Fluchtursachen beseitigen!“
https://www.recht-auf-willkommen.de