Kommt Politik ohne Phrasen aus? Kaum, wie ein Rückblick auf „das Jahr der Phrasen“ zeigt: Marcus Rohwetter kommentiert in der ZEIT (23.12.15) gängige Phrasen und Schlagwörter – unterhaltsam zu lesen und zugleich offen für Fragen. Sind Phrasen nur öde und nervig, oder bewirken sie mehr? Sehen wir uns einige genauer an (mit Zitaten von M.R. kursiv):
„Wir schaffen das“ – nichts hat die Debatte mehr geprägt als dieser Ausspruch von Angela Merkel bezogen auf die Flüchtlinge. „Können wir, packen wir, schaffen wir. Schaffenssätze verströmen Tatendrang und Optimismus. Sie … funktionieren, weil sich jeder selbst ausmalen kann, was genau geschafft werden soll, wie das erreicht werden könnte und wer mit ‚wir‘ eigentlich gemeint ist. Ihre beliebige inhaltliche Dehnbarkeit macht solche Aussagen so ungemein praktisch.“ Wenn aber dieser Ausspruch hohl – eben eine Phrase – ist, warum hat er dann so hohe Wellen geschlagen? Liegt das nicht eher am politischen Anliegen (‚für Flüchtlinge‘), das anfangs eine Rolle spielte und zunehmend auf Widerspruch stößt? Und ist nicht der Ausspruch inzwischen, angesichts von Grenzzäunen und Asylpaket 2, schon widersinnig?
Stichwort ‚Paket‚ – es diente bereits in diversen politischen Problemlagen als (vermeintliche) Rettung. Für Griechenland wurde „im Sommer ein weiteres Rettungspaket geschnürt. Voraussetzung für dieses Rettungspaket war ein Reformpaket, das die Griechen auf den Weg bringen mussten, bevor sie das andere Paket auspacken durften. Paketphrasen sind toll. Vor allem für politische Diskurse, denn Paketen sieht man nicht an, was eigentlich drin ist. Deswegen brauchen die Details der für griechische Steuerzahler überaus teuren Bankenrettung auch nicht zu interessieren. Pakete klingen nach Luftbrücke, nach Amazon Prime und nach Bescherung pünktlich zum Fest. Endlich liefert mal jemand.“ Paketphrasen verdecken, ähnlich wie ‚Schaffenssätze‘, worum es konkret geht. Doch das ist nicht alles. Das eigentlich Irreführende an diesen Paketen sind die beigefügten Begriffe – ‚Rettungspaket‘, ‚Reformpaket‘ und jetzt ‚Asylpaket‘. Mit ihnen wird jeweils ein positiver ‚Inhalt‘ suggeriert, der sich unhinterfragt einprägen soll.
‚Handfeste‚ Phrasen sind auch in der Finanzpolitik beliebt: Mario Draghi, Chef der Zentralbank, „könnte man als eine Art Superhandwerker bezeichnen. Typische Tätigkeitsfelder: Wasserwerke, Druckbetriebe, Autowerkstätten. Sucht er nicht gerade nach passendem Werkzeug für die Zinsschraube, dann dreht er Geldhähne zu oder auf, öffnet Schleusen und flutet die Märkte mit Liquidität. Manchmal überschwemmt er sie regelrecht. Darüber hinaus kann er Notenpressen anwerfen und stotternde Konjunkturmotoren ankurbeln.“ Was diese angeblich tatkräftigen Maßnahmen bewirken (können), bleibt verborgen. Derweil erscheint der Politiker als ‚Macher‘, die Sache ist angeblich ‚im Griff‘, und so wird von den zugrundeliegenden Problemen der Finanzwelt abgelenkt.
Insgesamt bedienen Phrasen den Drang, schwer Überschaubares auf eine einfache Formel zu bringen, Abstraktes und Kompliziertes greifbar zu machen. Das kann durchaus hilfreich und sinnvoll sein – es sei denn, die Phrase ist durch unreflektierten Gebrauch sinnentleert, also hohl. Problematisch sind Phrasen erst, wenn sie Unausgesprochenes verdecken bzw. den Blick auf die eigentlichen Vorgänge verstellen. Vor allem aber können sie in Verbindung mit Begriffen, die den verborgenen Sinn schönfärben, irreführend sein. Es lohnt sich also, Phrasen jeglicher Politikrichtung kritisch zu durchleuchten!
Ein interessanter Artikel! Gefällt mir gut! Vielen Dank für die Infos und schöne Grüsse aus der Freidenker Galerie